Vermeidender Bindungstyp kann KEINE Grenzen ziehen
Elif YilmazAuf den ersten Blick scheint es, als könne der vermeidende Bindungstyp Grenzen sehr gut setzen. Er meldet sich tagelang nicht, kann problemlos allein sein, lässt Menschen nicht zu nah heran und wirkt dabei oft unabhängig und kontrolliert. Während der ängstliche Bindungstyp kaum zwei Stunden aushält, ohne auf eine Nachricht zu antworten, bleibt der Vermeider scheinbar gelassen – selbst nach mehreren Tagen Funkstille.
Man könnte also meinen: Der Vermeider ist Meister darin, Grenzen zu ziehen.
Doch das, was wie gesunde Abgrenzung aussieht, ist in Wahrheit etwas anderes:
eine abrupte, unbewusste Notbremse – ein Schutzreflex des Nervensystems.
Die Handbremse des Vermeiders
Stell dir vor, du fährst Auto und die Ampel vor dir springt auf Orange. Du bremst langsam ab – das wäre eine gesunde Grenze. Der Vermeider dagegen zieht bei voller Geschwindigkeit plötzlich die Handbremse. Er reagiert nicht bewusst, sondern aus Angst.
Genau so verhält er sich in Beziehungen:
Nach zwei intensiven Wochen zieht er sich plötzlich zurück.
Nach einem schönen Wochenende entsteht Funkstille.
Nach einem Gespräch über Gefühle wird er distanziert oder verschlossen.
Diese „Grenzen“ sind keine bewusste Selbstfürsorge – sie sind Selbstschutz.
Distanz ist die Strategie, mit der der Vermeider Kontrolle über seine Überforderung zurückgewinnt. Sie beruhigt kurzfristig sein Nervensystem, schafft aber langfristig Einsamkeit und Unverbundenheit.
Warum der Vermeider Distanz braucht
Der vermeidende Bindungstyp hat meist früh gelernt, dass Nähe unsicher oder überfordernd ist. Vielleicht waren seine Eltern emotional unerreichbar, vielleicht hat er erlebt, dass Zuwendung an Bedingungen geknüpft war. Um nicht enttäuscht zu werden, hat er gelernt, Nähe zu kontrollieren – und sie im Zweifel zu vermeiden.
Diese Distanz fühlt sich für ihn vertraut an. Sie ist der einzige Weg, sich innerlich sicher zu fühlen. Doch als Erwachsener führt genau dieses Muster dazu, dass echte Nähe und Intimität kaum möglich sind. Der Preis für die vermeintliche Selbstsicherheit ist emotionale Isolation.
Wenn sich Nähe und Rückzug abwechseln
In Beziehungen mit einem ängstlichen Bindungstyp zeigt sich das deutlich.
Der Ängstliche verliert sich in der Verbindung – der Vermeider verliert sich in der Distanz. Der eine klammert, um Halt zu spüren, der andere zieht sich zurück, um sich nicht zu verlieren.
Beide reagieren auf dieselbe Angst: die Angst, sich selbst zu verlieren oder nicht genug zu sein. Doch ihre Strategien könnten gegensätzlicher kaum sein. Der Ängstliche überschreitet seine Grenzen, indem er sie ignoriert. Der Vermeider zieht Notgrenzen, die so abrupt sind, dass sie jede Verbindung zerstören. Am Ende fühlen sich beide leer und unverstanden – und bestätigen unbewusst ihre alten Überzeugungen über Liebe.
Grenzen setzen heißt, sich selbst zu spüren
Gesunde Grenzen entstehen nicht aus Abwehr, sondern aus Selbstkontakt. Sie sind nicht dazu da, Menschen fernzuhalten, sondern um Nähe sicher zu gestalten.
- Für den vermeidenden Bindungstyp bedeutet das: zu erkennen, dass Rückzug keine gesunde Grenze ist, sondern eine alte Überlebensstrategie.
- Für den ängstlichen Bindungstyp heißt es: zu lernen, dass Selbstaufgabe keine Liebe ist, sondern ein Schutzmuster, das verhindert, sich selbst treu zu bleiben.
Erst wenn beide lernen, ihre inneren Reaktionen zu verstehen, kann Beziehung wirklich sicher werden – durch ehrliche Kommunikation, Selbstverantwortung und bewusste Regulation des eigenen Nervensystems.
Entwicklung beginnt mit Bewusstsein
Niemand kommt mit diesen Mustern auf die Welt. Sie sind das Ergebnis früher Erfahrungen – aber sie müssen nicht dein Schicksal bleiben. Als Erwachsene haben wir die Verantwortung, neue Strategien zu entwickeln: solche, die nicht nur unser Überleben sichern, sondern unser Leben erfüllen.
Das bedeutet, Nähe auszuhalten, Grenzen klar zu spüren und Verantwortung für die eigenen Emotionen zu übernehmen. Diese Entwicklung braucht Mut, Bewusstsein und innere Arbeit – aber sie ist möglich. Sichere Bindung ist kein Zufall, sondern das Ergebnis von Entwicklung.
Vom unsicheren zum sicheren Bindungstyp – dein Weg in innere Sicherheit
Wenn du dich in diesen Dynamiken wiedererkennst – ob als ängstlicher, vermeidender oder desorganisierter Bindungstyp – dann ist es Zeit, den Blick nach innen zu richten.
Mein Selbstlernprogramm „Vom unsicheren zum sicheren Bindungstyp“ unterstützt dich dabei, deine unbewussten Schutzstrategien zu verstehen, dein Nervensystem zu regulieren und Schritt für Schritt emotionale Sicherheit aufzubauen.
Du lernst, deine Bedürfnisse ernst zu nehmen, gesunde Grenzen zu ziehen und dich selbst zu halten – unabhängig davon, wie sich andere verhalten. So wirst du zu einem Menschen, der in sich ruht und Beziehungen führt, die auf Respekt, Nähe und gegenseitigem Vertrauen beruhen.
Alle Infos findest du hier.
Es ist Zeit, aufzuhören, die Handbremse zu ziehen – und zu lernen, dich selbst sicher durch Nähe zu steuern. 💛
Liebe Grüße,
Elif
Bindungsstil Expertin
Love & Confidence Coach

