Desorganisierter Bindungstyp: Wie Kindheitstrauma das Verhalten in Beziehungen beeinflusst
Elif YilmazDer desorganisierte Bindungstyp ist komplex und oft schwer zu verstehen – sowohl für die Betroffenen als auch für ihre Partner. In Beziehungen wirkt er sich häufig durch ein stark schwankendes Verhalten aus: Mal ist der desorganisierte (ängstlich vermeidende) Partner sehr präsent, zeigt viel Nähe und Interesse, dann zieht er sich plötzlich zurück und gibt keinen klaren Grund dafür an. Diese ständigen Wechsel zwischen Nähe und Distanz führen zu einer so genannten „Push-Pull“-Dynamik, die für beide Seiten frustrierend und verwirrend sein kann. Aber was steckt wirklich dahinter? Was sind die Wurzeln dieses Verhaltens und warum hat es so einen tiefen Einfluss auf die Beziehungen?
In diesem Blogpost werde ich tief in die Kindheitserfahrungen eintauchen, die das Verhalten eines desorganisierten (ängstlich vermeidenden) Bindungsstils prägen. Wir werden über die Emotionen, Ängste und Konflikte sprechen, die während der Kindheit erlebt wurden, und darüber, wie diese Erfahrungen die Art und Weise beeinflussen, wie ein ängstlich vermeidender Mensch heute Beziehungen lebt. Besonders wichtig ist es, zu verstehen, wie das chaotische Verhalten und die ständig schwankenden Gedanken und Gefühle in der Kindheit das Beziehungsdrama im Erwachsenenalter auslösen. Ich werde außerdem eine kraftvolle Übung mit dir teilen, die dir hilft, diese tief verwurzelten Muster zu erkennen und zu verändern.
1. Die Hypervigilanz: Der ständige Versuch, die Kontrolle zu behalten
Für einen desorganisierten Bindungsstil ist die Bindungsstrategie, die am häufigsten zum Einsatz kommt, Hypervigilanz. Das bedeutet, dass diese Menschen ständig auf der Suche nach Hinweisen sind, um potenziell bedrohliche oder gefährliche Situationen zu erkennen, bevor sie eintreten. Diese ständige Wachsamkeit gegenüber den Stimmungen und Verhaltensweisen anderer ist ein Versuch, sich selbst vor emotionalem Schmerz zu schützen. Doch warum entwickeln Menschen mit diesem Bindungsstil diese Überlebensstrategie?
Der Ursprung liegt in der Kindheit. Viele desorganisierte Menschen wuchsen in einem Umfeld auf, in dem nichts vorhersehbar war. Ein Elternteil konnte liebevoll und unterstützend sein, aber genauso schnell auch wütend, abweisend oder sogar missbräuchlich. Diese ständigen Schwankungen führten dazu, dass das Kind ständig auf der Hut war – immer darauf bedacht, das Verhalten des Elternteils genau zu beobachten, um zu wissen, wann Gefahr drohte und wann es sicher war, sich zu öffnen.
Die hypervigilante Haltung führt dazu, dass der desorganisierte Mensch in Beziehungen ständig zwischen den Zeilen liest – sie nehmen kleinste Veränderungen im Tonfall, in der Körpersprache oder in den Reaktionen des Partners wahr. Diese ständige Überwachung ist ein Versuch, sich vor emotionaler Verletzung zu schützen, indem sie die „richtige“ Reaktion vorausahnen. Doch dieser Mechanismus, der einst als Schutz in der Kindheit hilfreich war, führt im Erwachsenenalter zu chronischem Misstrauen und emotionaler Distanz.
2. Chaotische Kindheitserfahrungen und die Entstehung des Bindungsstils
Die Kindheit eines desorganisierte Menschen war häufig von Instabilität und Chaos geprägt. Vielleicht gab es ein Elternteil, das mit Suchtproblemen zu kämpfen hatte. Ein Elternteil konnte einmal freundlich und liebevoll sein, nur um dann wieder wütend, aggressiv oder abweisend zu reagieren. Diese Unvorhersehbarkeit schuf eine unberechenbare Umgebung, in der das Kind ständig versuchte, das Verhalten der Bezugspersonen zu entschlüsseln.
Stell dir vor, du wächst mit einem alkoholkranken Elternteil auf. An einem Tag ist der Elternteil liebevoll und fürsorglich, nach ein paar Drinks ist er jedoch unkontrollierbar, aggressiv oder desinteressiert. Du lernst, dass du nie sicher sein kannst, in welchem Zustand dieser Elternteil nach Hause kommt – es ist wie ein ständiges „Laufen auf Eierschalen“. Wenn du Glück hast, bekommst du einen Moment der Liebe und Fürsorge, aber die meiste Zeit musst du dich auf das Schlimmste vorbereiten.
Es kann auch sein, dass du ständig in Konflikte zwischen deinen Eltern hineingezogen wirst. Vielleicht erlebtest du, wie sie sich gegenseitig beschuldigten und streiteten, ohne Rücksicht darauf, was du als Kind brauchst. Du warst in der Mitte, versuchtest, den Streit zu entschärfen und für „Harmonie“ zu sorgen, ohne deine eigenen Gefühle und Bedürfnisse zu erkennen.
In diesen chaotischen Umfeldern ist es nicht ungewöhnlich, dass Kinder lernen, ihre eigenen Bedürfnisse zu ignorieren, um die Bedürfnisse der Eltern zu befriedigen. Du hast nie gelernt, deine eigenen Gefühle zu validieren oder deine eigenen Bedürfnisse anzuerkennen, weil du immer darauf achten musstest, was die Eltern brauchen. Diese frühen Erfahrungen schaffen eine Grundlage für das spätere Leben, in dem der desorganisierte Bindungsstil Schwierigkeiten hat, sich emotional zu öffnen und zu vertrauen.
3. Die „Push-Pull“-Dynamik in Beziehungen
Das, was du als Kind erlebt hast, zieht sich wie ein rotes Band durch dein gesamtes Erwachsenenleben. Du möchtest Nähe und Liebe, doch tief im Inneren hast du die unbewusste Angst, verletzt oder abgelehnt zu werden. Du kannst dich nicht entscheiden: Auf der einen Seite sehnen sich deine Gefühle nach Nähe und Intimität, auf der anderen Seite schreckt dich die Vorstellung ab, dass diese Nähe auch Schmerz und Enttäuschung mit sich bringen könnte.
Dieser innere Konflikt führt zur typischen „Push-Pull“-Dynamik: Du ziehst dich zurück, wenn du dich zu nahe fühlst, und dann suchst du doch wieder nach Nähe, wenn die Unsicherheit zu groß wird. Du versuchst, dich emotional zu schützen, indem du dich distanzierst, doch dieser Rückzug wird oft als Ablehnung von deinem Partner wahrgenommen, was dann wiederum deine Angst vor Verlust verstärkt. Du bist hin- und hergerissen zwischen der Angst vor Verletzung und dem Wunsch nach echter Verbindung.
Dieses Verhalten, das du als Erwachsener in Beziehungen zeigst, ist einfach ein Wiederholung des Verhaltens, das du als Kind erlernt hast. In einer chaotischen Kindheit gab es keine sichere Bindung oder verlässliche emotionale Unterstützung, und so hast du gelernt, dass Nähe und Liebe oft mit Schmerz oder Ablehnung verbunden sind. Das führt zu einem ständigen Wechsel von Nähe und Abstand in deinen Beziehungen, da du versuchst, diesen alten Schmerz zu vermeiden, ohne dich wirklich auf deinen Partner einzulassen.
4. Das emotionale Trauma und die Auswirkungen auf das Vertrauen
Die Kindheitserfahrungen eines desorganisierten Bindungsstils haben tiefe emotionale Narben hinterlassen, die es extrem schwierig machen, Vertrauen zu entwickeln. Du hast als Kind gelernt, dass Menschen, denen du vertraut hast, dich entweder enttäuschen oder dich emotional verletzen könnten. Diese tief verwurzelte Angst vor Ablehnung und Verletzung bleibt oft im Unterbewusstsein und beeinflusst jedes Mal, wenn du in eine neue Beziehung gehst.
Es ist eine tiefe Misstrauenserfahrung, die es dem desorganisierten Bindungsstil extrem schwer macht, sich zu öffnen und zu vertrauen. Du hast nie gelernt, dass es sicher ist, dich emotional zu öffnen und dass du auch als Erwachsene deine eigenen Bedürfnisse und Gefühle an erste Stelle setzen kannst. Stattdessen bist du darauf konditioniert, dich zurückzuziehen, um nicht erneut verletzt zu werden.
5. Eine kraftvolle Übung zur Heilung: Selbstfürsorge und Selbstannahme
Eine wichtige Übung, die dir helfen kann, diese tiefen Muster zu erkennen und zu transformieren, ist die Selbstreflexion über deine Kindheit und die Auswirkungen, die sie auf deine heutigen Beziehungen hat. Die Übung basiert auf einem Zitat von Dr. Gabor Maté: „Trauma ist das, was passiert ist, was nicht hätte passieren sollen, und das, was nicht passiert ist, was hätte passieren sollen.“
Schritt 1: Schreibe zwei Spalten. In der ersten Spalte notierst du, was in deiner Kindheit passiert ist, was nicht hätte passieren sollen (z. B. Missbrauch, emotionale Vernachlässigung). In der zweiten Spalte reflektierst du darüber, was du als Kind gebraucht hättest, aber nicht bekommen hast (z. B. emotionale Sicherheit, Liebe, Unterstützung).
Schritt 2: Überlege dir, wie diese Erfahrungen dein Verhalten und deine Beziehungen im Erwachsenenalter beeinflussen. Welche Muster siehst du immer wieder in deinen Beziehungen? Wie kannst du anfangen, diese Muster zu verändern?
Fazit: Heilung ist möglich
Die Heilung des desorganisierten Bindungsstils erfordert Zeit, Geduld und bewusste Arbeit. Doch durch das Erkennen und Verstehen der Kindheitserfahrungen, die dieses Verhalten geprägt haben, kannst du beginnen, deine Beziehung zu dir selbst und zu anderen zu heilen. Du bist nicht dazu verdammt, in diesen Mustern zu bleiben – du kannst lernen, dich selbst zu lieben und gesunde, stabile Beziehungen aufzubauen.
💛 Wenn du lernen möchtest, eine sichere, erfüllende Beziehung zu dir selbst und anderen zu führen, begleite ich dich gerne auf diesem Weg.
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